Kapitälchen statt Versalien? Lieber Versalien!
Kapitälchen statt Versalien
Ab und zu sehe ich in Texten Kapitälchen als Auszeichnung, wo der Autor im Manuskript Versalien vorgesehen hatte:
So sehr ich es grundsätzlich begrüße, die vom Autoren gewählten Auszeichnungen im Text kritisch zu hinterfragen (denn ab und an ist eine andere Auszeichnung besser geeignet bzw. illustriert die benötigte Art der Auszeichnung besser), bevorzuge ich grundsätzlich Versalien.
Die Lehrmeinung
Kapitälchen fallen im Satzbild weniger auf (haben weniger Gewicht) als der Satz von Versalien, welche als starke (auch: laute oder schwere) Auszeichnung eingestuft werden. Das gleichmäßige Auf und Ab von Ober- und Unterlängen um die Mittellänge herum in den Zeilen verändert sich: Setze ich eine Zeile nur Versalien, monotonisiert sich die Zeile und erzeugt eine stärkere Grauwirkung, denn alle Versalien benötigen durchgängig Mittel- und Oberlänge; sie »knallen« hervor und lenken damit das Auge ab.
Kapitälchen – Pro und Contra
Kapitälchen werden klassischerweise für die Hervorhebung von wichtigen Namen (wichtige Persönlichkeiten, Schiffsnamen usw.) in Sachbüchern und anderen nicht-fiktionalen Werken verwendet.
+
Kapitälchen sind in der Auszeichnung leiser, verändern durch ihr Auf und Ab (auch wenn Ihnen Unterlängen fehlen) nicht so stark die Grauwirkung der Zeile und fügen sich somit besser ein.
+
Kapitälchen wirken grundsätzlich edel, elegant und besonders.
–
Kapitälchen sind kleine Versalien. Versalienworte sind etwas schlechter zu lesen als Groß- und Kleinschreibung; kleine Versalien sind natürlich noch etwas schlechter zu lesen (und müssen deshalb auch leicht angesperrt werden!)
–
Mag der Satz von Kapitälchen bei wenigen Buchstaben sich noch gut ins Satzbild einfügen, erzeugt er bei mehreren aufeinander folgender Worten doch wieder unschöne Graustufenveränderungen des Satzbildes – vor allem, wenn auch noch die Großbuchstaben der Kapitälchen durch die Kleinbuchstaben ersetzt worden sind. Die Lesbarkeit leidet dann stark.
–
Mir stellen sich beim Einsatz von Kapitälchen statt Versalien sofort zwei Fragen: Was mache ich mit Kombinationen von Versalien und Gemeinen wie UdSSR, KGaA usw.? Und: Was mache ich mit Beugungsformen wie CDs, DVDs usw.? Ersteres verwirrt, zweiteres wirkt durch sein Aussehen grammatikalisch unsauber.
Versalien – Pro und Contra
Versalien finden Anwendung für das Brüllen in der wörtlichen Rede, für besonders wichtige Informationen, in (edlen) Urkunden und auf Grabsteinen (Letzteres sollte man beim Typografieren von Texten nie vergessen und sich immer fragen, ob Versalien an dieser Stelle auch wirklich angebracht sind!).
+
Versalien wirken gravitätisch, wichtig, auch edel.
+
Kombinationen aus Versalien und Gemeinen (UdSSR, KGaA usw.) und Beugungsformen (CDs, DVDs usw.) sind eindeutig und klar.
–
Versalien sind eine schwere, laute Auszeichnung und stören durch ihre Größe und Monotonie die gleichmäßige Grauwirkung des Satzbildes – vor allem bei langen Versalpassagen.
–
Versalien sind grundsätzlich etwas schlechter lesbar als das Groß und Klein eines Textes und müssen deshalb leicht gesperrt werden.
Fazit
Beide haben also Ihre Vor- und Nachteile (bei langen Passagen sind beide sehr unschön), aber bei Verwendung von Kapitälchen statt Versalien haben die Kapitälchen meiner Meinung nach einfach zu viele Nachteile (schlechtere Lesbarkeit langer Passagen, Verwirrung bei Kombinationen von Versalien und Gemeinen und Beugungsformen). Ergo: Ich stehe zu Versalien!
Um aber die negativen optischen Effekte von Versalien zu reduzieren und sie damit besser ins Satzbild zu integrieren, müssen sie leicht verkleinert und leicht angesperrt gesetzt werden. Das gilt für alle Versalienstrecken im Text, bei denen zwei oder mehr Großbuchstaben in einem Wort direkt hintereinander stehen (GREP-Suche: \u\u+).
Die Verkleinerung lässt die Versalien optisch nicht ganz so stark ins Gewicht fallen; sie fügen sich damit einfach besser ins Satzbild. Doch Vorsicht: Mit einer zu starken Verkleinerung erhalten wir schnell den gleichen negativen Effekt wie bei falschen Kapitälchen – die Strichstärke der verkleinerten Versalien weichen dann zu stark von den Strichstärken der normalen Schriftgröße ab; die Versalien wirken abgemagert und nicht mehr integriert.
Richtwert: Die Versalworte etwa 8–5% kleiner setzen als der eigentliche Textstil. (Die genauen Werte hängen stark von der verwendeten Schriftart und Schriftgröße ab.)
Die Ansperrung erhöht die Lesbarkeit von Versalien und gleicht unschöne Zeichenabstände, die bei Versalien leicht entstehen, etwas aus. (Streng genommen müssen alle Versalien per Hand ausgeglichen werden. Vor allem in Überschriften und großen Schriftgrößen ist das auch nach wie vor obligatorisch!) Die Sperrung soll nicht als gesperrt wahrgenommen werden (das wäre schon wieder eine Auszeichnungsart für sich), darf also nicht zu stark sein, denn starke Sperrung vermindert wieder die Lesbarkeit.
Richtwert: Die Versalworte etwa 30–80 Einheiten (1/1000stel Geviert = InDesign-Einheiten) weiter angesperrt setzen als der eigentliche Textstil – wobei längere Passagen auch eher etwas weiter gesperrt sein sollten, also etwa 50–100 Einheiten. (Die genauen Werte hängen auch hier wieder stark von der verwendeten Schriftart und Schriftgröße ab.)
Gute Startwerte für das Finden der optimalen Zurichtung von Versalkombinationen bei einer 10-pt-Schrift in InDesign sind:
Größe: 9,5 pt
Sperrung: +50